BRIEF AN DIE NIEDERSÄCHSISCHE JUSTIZMINISTERIN
Frau Ministerin Heidi Alm-Merk
Justizministerium Am Waterlooplatz 1
30159 Hannover
 
20. Mai 1997

Sehr geehrte Frau Alm-Merk, 

wenn in diesem Land Recht zu Unrecht wird, ist es nicht nur für den betroffenen Bürger (mich* in diesem Fall), sondern auch für das Rechtssystem und für das Land selber eine schlimme Sache. Denn in einer Demokratie kann die Autorität des Staats und seines Rechtssystems nur auf wohl verdientem Respekt rühren. 

Das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen, aber darum geht es u.a. in diesem Schreiben. Das Braunschweiger Amtsgericht hat mich zu einer Strafe von 60 Tagessätzen verurteilt, weil ich versucht habe, junge Menschen vor Werbeplakaten zu schützen, die sie direkt zum Rauchen oder Weiterrauchen ermuntern, ja, auffordern. Sie kennen die Werbung, die ich meine, sicherlich auch, denn sie erscheint seit Jahren überall in Deutschland - auch in Hannover: 

"Ich rauche gern"
Mit einer Spraydose habe ich versucht ihr ihre verführerische Wirkung zu nehmen: 
"Ich, Idiot, rauche gern" 

Ich habe meine Aktion ausführlich - und ich hoffe überzeugend - begründet. Eine Kopie der Begründung, die auch Bilder und Referenzen enthält, ist diesem Schreiben beigelegt. 

Ich habe Einspruch gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts eingelegt und es wird am Montag dem 9. Juni zur Hauptverhandlung kommen. 

Mein Hauptanliegen ist es, die jungen (auch minderjährigen) Menschen, die durch Zigarettenwerbung zum Rauchen oder Weiterrauchen verführt und ermuntert werden sollen zu schützen (auf 90.000 wird die Zahl der hauptsächlich durch Rauchen verursachten Todesfälle vom Bundesministerium für Gesundheit geschätzt - jährlich. Das sind knapp 250 Menschen jeden Tag!). Ich wende mich an Sie, weil ich davon ausgehe, daß als Justizministerin Ihr Hauptanliegen die Integrität des deutschen Rechts ist. Falls der Strafbefehl des Amtsgericht bestätigt werden sollte, wird es bedeuten, daß Übeltäter (jemand der junge Menschen - auch Minderjährigen - zum Rauchen oder Weiterrauchen ermuntert oder auffordert, ist angesichts unseres heutigen Wissens ein Übeltäter) geschützt werden, während derjenige, der die Opfer zu schützen versucht, bestraft wird. Das wäre für uns beide bzw. für das, wofür wir einstehen, ein schlechter Ausgang. 

Ich weiß, daß in anderen Fällen, wo jemand gegen Plakate mit Zigarettenwerbung ähnlich vorgegangen ist, derjenige dafür bestraft wurde, weil die verlogene Behauptung der Tabakindustrie, "Ihre Werbung spreche nur Raucher an und beeinflusse nur Marktanteile ohne den Tabakkonsum an sich zu fördern" von den Gerichten anerkannt wurde. Bei der "ich rauche gern"-Werbung kann das aber nicht mehr glaubhaft gemacht werden. Hier macht die Tabakindustrie direkt und unverblümt, was sie sonst indirekt und subtil macht: Sie verführt Menschen, vor allem - und gezielt - junge Menschen, zum Rauchen oder zum Weiterrauchen. Und - gewollt oder ungewollt - ermuntert sie damit auch noch minderjährige zum Rauchen, denn, wie die Deutsche Städte-Reklame GmbH auf eigenen Werbeplakaten behauptet, 

"Plakate sieht jeder!"

Viele Kinder, wenn sie dabei sind, das Lesen zu lernen, lesen alles, was sie auf der Straße sehen. Wie mag es auf ihre besonders beeinflußbaren Seelen wirken, wenn sie über Jahre hinweg diese Werbung - "Ich rauche gern" - immer wieder sehen und lesen? 

Ich und die Millionen von jungen Menschen, die in den kommenden Jahren zum Rauchen verführt werden sollen - und deren "Anwalt" ich in diesem Fall bin -, brauchen Ihre Unterstützung. 

Es wäre auch im Interesse des sonst so achtungswürdigen deutschen Rechts.

Ich verbleibe hochachtungsvoll,

Roger A. Hicks

P.S. Kennen Sie das Lied von Simon und Garfunkel, "The Boxer"? An einer Stelle heißt es: "A man hears what he wants to hear and disregards the rest" (ein Mann hört was er hören will, und den Rest beachtet er nicht). Genau so geht es uns als Gesellschaft in Bezug auf Zigarettenwerbung: Mit unserem heutigen Wissen über die Folgen des Rauchens müßten wir jegliche Förderung davon auf der Stelle verbieten. Aber die Interessen, die daran hängen, sind so stark und wir alle sind so sehr daran gewöhnt, daß wir es noch vorziehen wegzuhören und wegzuschauen. Eines Tages werden Menschen auf unsere Zeit zurückblicken und sich Frage, wie die Menschen damals (wir) so blind und so verantwortungslos ihren eigenen Kindern gegenüber sein konnten. Das Argument, wir hätten Angst den eigenen Kopf zu verlieren, wird dieses Mal nicht anwendbar sein. Unsere Nachkommen werden eine andere Erklärung suchen müssen.


Antwort vom 25.06.97

Niedersächsisches Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten 
Postfach 2 01, 30002 Hannover 

Betr.: Ihr Schreiben vom 20. Mai 1997

Sehr geehrter Herr Hicks,

Frau Ministerin Alm-Merk hat mich gebeten, Ihr Schreiben vom 20. Mai 1997 zu beantworten:

Ich habe Ihr Schreiben zum Anlaß genommen, die Staatsanwaltschaft um einen Bericht zu der Angelegenheit zu bitten und habe in Erfahrung gebracht, daß das gegen Sie geführte Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft durch das Amtsgericht wegen geringer Schuld gem. § 153 Abs. 2 der Strafprozeßordnung eingestellt worden ist. Die Staatsanwaltschaft hat mir weiter berichtet, daß eine solche Verfahrensweise erfolgen konnte, weil Sie sich bereit erklärt haben, der Deutschen Städte-Reklame zum Ausgleich des Sachschadens einen Geldbetrag zu zahlen und versprochen haben, zukünftig mit legalen Mitteln vorzugehen.

Auch wenn es gar keine Diskussion darüber geben kann, daß Ihr Verhalten als Sachbeschädigung strafbar ist, meine ich aber, daß Ihr Anliegen, auf die gesundheitlichen Risiken des Rauchens aufmerksam zu machen, damit in angemessener Weise Berücksichtigung gefunden hat.

Den Hefter, in dem Sie ergänzendes Material zu Ihrem Schreiben zusammengestellt haben, habe ich zu meiner Entlastung beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen 
Im Auftrag